Ein kleines Bild mit einer Darstellung der Königin Hedwig, auf dem der Zahn der Zeit und Spuren des Holzwurms sich bereits bemerkbar machen, hat auf den ersten Blick keinen großen Wert. Der Rahmen ist handgefertigt und etwas schief und trotzdem ist das Bild als Teil meiner Familiengeschichte für mich besonders wertvoll. In der unteren Partie trägt es eine handgeschriebene Widmung: „An die Heimat und den Glauben der Väter soll die geliebten Landsleuten in der weiten Welt die heilige und heldenhafte Person unserer Königin Hedwig erinnern. Posen, den 24. Dezember 1935. Kardinal Hlond, Primas von Polen”
Das Bild brachte meine Großmutter Bronisława 1946 in die Gegend von Bunzlau mit. Sie ist aus Kunova in Bosnien mit einem der ersten von 32 Sonderzugtransporten gekommen. Sie war alleine mit ihren acht Kindern, ihr Mann wurde einberufen und fiel 1943 im Krieg. Die Oma nahm ihren kleinen Besitz mit: Haushaltsgeräte, 2 Kühe und 500 Kilo Getreide, was zur Zeit der Hungersnot Gold wert war. Großmutter Bronisława Urbaniak, im Jahre 1900 als Bronisława Lejn in Wolhynien geboren, ist als zweijähriges Kind mit ihren Eltern und Geschwistern nach Bosnien ausgewandert. Nach der Ankunft stellte sich heraus, dass die Bedingungen sehr schwierig waren. Die Familie bekam jedoch 10 ha Boden, den sie bewirtschaften sollte. Zuerst musste man die großen Eichen roden und ein Haus bauen. Von Anfang an beteiligte sich die Großmutter Bronisława am Bau des Ortes Kunova durch die polnischen Siedler, die zur gleichen Zeit gekommen waren. Der Ort war relativ groß, es wurde auch eine Kirche und ein Friedhof errichtet. Im Jahre 1935 erhielten Bronisława und ihr Mann Stefan das Bild mit der Königin Hedwig als Andenken. Sie brachten es schon zu einem eigenen Ziegelhaus mit Scheune und einem Bauernhof mit über 10 ha Land. Der Krieg vereitelte ihre Pläne, den ganzen Besitz mussten sie zurücklassen und von Anfang an beginnen, diesmal im Bunzlauer Land im Ort Czerna/Tschirne. Das kleine Bild war für meine Großmutter sehr wertvoll, sie hat es nicht vergessen, als sie in großer Eile ihr Habe zusammenpackte. Es fand seinen Platz neben dem Bild ihres Mannes Stefan und einem Kreuz an der Wand ihres neuen Hauses in Tschirne. Heute hängt es in meinem Haus in Tomisław/Thommendorf bei Bunzlau.
Der Zweite Weltkrieg bedeutete eine Schicksalswende für viele Menschen in Europa. So war es auch mit den Polen, die seit Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien lebten. Die Herrscher von Österreich-Ungarn starteten damals mit der groß angelegten Siedlungsaktion in dem neu eroberten Bosnien. Es wird geschätzt, dass ca. 15.000 Polen aus Galizien nach Bosnien ausgewandert waren. Während des Zweiten Weltkriegs waren die dortigen Lebensbedingungen sehr schwierig. Nach seinem Ende wurde eine Delegation nach Warschau geschickt, um mit der damaligen Regierung über die Rückkehr der Polen ins Heimatland zu verhandeln. Man beschloss, die meisten Landsleute in den Kreis Bunzlau zu versetzen. Die ersten hundert Familien reisten im März 1946 mit dem Zug ab. Ihre Reise dauerte 2 Wochen. Insgesamt kamen ca. 18.000 Menschen nach Polen. Die Neuankömmlinge ließen sich in Bunzlau und in vielen Dörfern des Kreises nieder. Und wieder einmal mussten sie ihr Leben neu anfangen.
Dieser Blogbeitrag ist ein Gastbeitrag aus dem Freilichtmuseum Thommendorf (Skansenik Tomisław Muzeum, PL 59-724 Tomisław. Besichtigung nach telefonischer Voranmeldung: +48 692 230 961). Das Bildmaterial entstammt der Sammlung des Autors.
Autor: Szczepan Chmielowiec