DER DICHTER DER MENSCHLICHKEIT
100 Jahre Literaturnobelpreis für Gerhart Hauptmann
2. September 2012 bis 17. Februar 2013
Der 150. Geburtstag Gerhart Hauptmanns und seine Auszeichnung mit dem Literaturnobelpreis vor 100 Jahren bilden den Anlass für eine Sonderausstellung, mit der HAUS SCHLESIEN Leben und Werk des schlesischen Schriftstellers würdigt.
Gerhart Hauptmann gilt als einer der bedeutendsten deutschen Vertreter des Naturalismus und seine sozialkritischen Dramen sind noch immer fester Bestandteil der deutschen Schauspiellandschaft. Das Interesse an seinen Stücken ist und bleibt ungebrochen. „Die werden noch fer ‘ne Quarkschnitte arbeiten“ war 2004 auf einem Plakat für eine Aufführung des wohl bekanntesten Stücks von Gerhart Hauptmann zu lesen. Das Staatsschauspiel Dresden hatte „Die Weber“ auf die Bühne gebracht und Regisseur Volker Lösch provozierte mit seiner stark aktualisierten Inszenierung einen deutschlandweiten Skandal. Die Neuinszenierung des Stücks durch das Deutsche Theater Berlin zog 2011 Politiker aller Couleur in die Aufführungen. Dies sind nur zwei herausragende Beispiele. „Die Weber“ scheint das politische Stück unserer Zeit zu sein und hat offenbar nicht nur der politischen Klasse noch etwas zu sagen. So sehr seine Werke heute unter aktuellen, sozialpolitischen Gesichtspunkten gelesen, inszeniert und wahrgenommen werden, Hauptmann selbst vertrat die Ansicht, dass Künstlertum und Politik nicht miteinander vereinbar seien. „Ein Künstler darf kein Politiker sein“, war sein Prinzip. Ihn erstaunten die Reaktionen, die seine Stücke bei den Zeitgenossen hervorriefen. 1894 kündigte Kaiser Wilhelm II. aufgrund der Aufführung der für ihn revolutionären Tragödie „Die Weber“ seine Loge im Theater. Hauptmann selbst verfolgte jedoch keine politischen Ziele mit seinen Werken. Ihm ging es allein um eine naturgetreue Abbildung der konkreten Lebensumstände und Nöte der Menschen. Seine gesellschaftskritischen Dramen wie „Vor Sonnenaufgang“ und „Die Weber“ gaben den großen sozialen Fragen des 19. Jahrhunderts ein neues Antlitz. Das Menschliche war es, das in seinem literarischen Werk dominierte.
Sein zwiespältiges Verhalten gegenüber den Nationalsozialisten hingegen hat einen dunklen Schatten auf seine Biografie geworfen. Dass Hauptmann sich vom Hitler-Regime nicht eindeutig öffentlich distanzierte, führte auch dazu, dass einige seiner Freunde sich von ihm abwandten. Der 1933 bei der Machtübernahme der Nationalsozialisten 71-jährige Hauptmann schrieb im gleichen Jahr in seinen persönlichen Aufzeichnungen, er wünsche sich eine „Eremitage für stille Arbeit“ und zog sich verstärkt Bestattung_Hauptmannauf sein literarisches Schaffen zurück. Seine Heimat Schlesien wollte er nach Ende des Zweiten Weltkriegs und der Besetzung durch Polen nicht mehr verlassen. Den Sonderzug, den ihm die Sowjetische Militäradministration für die Aussiedlung mit all seinem beweglichen Besitz angeboten hatte, lehnte er ab, so dass er bis zu seinem Tod am 6. Juni 1946 in seinem Haus Wiesenstein in Agnetendorf blieb. In einem Fichtensarg, gekleidet in seine Franziskanerkutte, mit schlesischer Erde auf der Brust und seiner Jugendbibel in den Händen, konnte Gerhart Hauptmann am 28. Juli 1946 unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit in Kloster auf Hiddensee bestattet werden.
Sozialkritischer Dramatiker, anfänglich enthusiastischer Unterstützer der nationalistischen Welle zu Beginn des Ersten Weltkriegs, Repräsentant der deutschen Kultur in der Weimarer Republik, Nobelpreisträger, der es zuließ, dass die Nationalsozialisten sich mit ihm schmückten, Befürworter des in der Sowjetischen Besatzungszone gegründeten „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ – Gerhart Hauptmann scheint ein Widerspruch in sich zu sein.
Die Ausstellung möchte den Dichter und sein Werk unter dem Aspekt der Menschlichkeit beleuchten. Seine tiefe Verbundenheit zu seiner schlesischen Heimat, die sich als Konstante durch sein Leben zieht, stellt den Ausgangspunkt dar. Obwohl er sich oft und gerne in Berlin, Italien und auf Hiddensee aufhielt, verspürte er eine starke Bindung zur heimatlichen Landschaft, Kultur und Sprache. So schrieb er beispielsweise seine Stücke nicht nur in Hochdeutsch sondern auch in schlesischer Mundart. Die Liebe zum Vaterland prägte zeitlebens seine Entscheidungen und vor allem seine politische Einstellung. Vor diesem Hintergrund stellt sich auch die Frage nach Hauptmanns Rollen innerhalb der wechselnden Regime seiner Zeit, vor allem in der Zeit des Nationalsozialismus. Unabhängig von der aktuellen politischen Situation scheint sein Handeln immer von der Loyalität gegenüber Deutschland und seinen Mitmenschen bestimmt.
Das spiegelt sich in seinem Œuvre wider, das geprägt ist von der Not der Menschen. Der Naturalist Hauptmann nahm das Elend ungeschönt und wirklichkeitsgetreu in seine Dramen auf und brachte es auf die Bühnen des Landes. In Überwindung des bürgerlichen Realismus verschrieb sich der Naturalismus der illusionslosen, wertungsfreien Beschreibung von moralischem und wirtschaftlichem Elend, Unterprivilegierung und „Hässlichem“. Beispielhaft werden in der Ausstellung zwei Werke vorgestellt und in den historischen, gesellschaftlichen und rezeptionsgeschichtlichen Kontext eingeordnet.
Immer wieder prägten auch Menschen aus Hauptmanns unmittelbarer Umgebung wie Familie und Freunde sowie seine persönlichen Erfahrungen und Lebensabschnitte sein Werk. Besonders die Frauen in seinem Leben – seine beiden Ehefrauen Marie und Margarete und die jugendliche Geliebte Ida Orloff –, die ihn begleiteten, inspirierten und unterstützen, die um ihn buhlten und kämpften, fanden verstärkt Eingang in sein Werk. Der jungen Schauspielerin Ida Orloff, die als Inbegriff der schönen, blonden Frau immer wieder in seinen Stücken auftaucht, schrieb er sogar die Rolle der Pippa in „Und Pippa tanzt!“ auf den Leib. Exemplarisch wird die literarische Verarbeitung von Ereignissen aus seinem persönlichen Umfeld in seinem Werk vorgestellt.
Verschiedene eindrucksvolle Leihgaben werden die Ausstellung bereichern, darunter auch die Verleihungsurkunde für den Literaturnobelpreis. Ein umfangreiches Rahmenprogramm rundet die Ausstellung ab.