Hinter den Kulissen tut sich was
Neugestaltung der Dauerausstellung bis Ende April 2022
Die Dauerausstellung des Dokumentations- und Informationszentrums im HAUS SCHLESIEN hat sich über die Jahrzehnte immer wieder verändert, es kamen wertvolle und interessante Exponate z. T. ganze Sammlungen hinzu, Leihgaben mussten abgegeben werden, die Präsentationsmöglichkeiten haben sich gewandelt und einzelne Themen an Interesse gewonnen oder verloren – doch so grundlegend wie es jetzt der Fall ist, wurde die Präsentation noch nie verändert. Notwendig geworden ist diese komplette Neukonzeption der permanenten Ausstellung nicht nur, weil sich die Sehgewohnheiten des Publikums verändert haben, die Technik neue Darstellungsformen ermöglicht und die Konkurrenz sowohl im Bereich der Freizeitgestaltung als auch der Informationsbeschaffung größer und vielfältiger geworden ist, sondern vor allem, weil sich die Vorkenntnisse und damit auch die Erwartungen der Besucher an die Ausstellung geändert haben. Früher hatten Besucher mit familiärem Hintergrund in Schlesien zumeist noch eigene Erinnerungen an die Vorkriegszeit, an Flucht und Vertreibung, der Großteil der präsentierten Objekte war ihnen bekannt, und sie konnten diese entsprechend einordnen. Heute kommen die Kinder und Enkel, sie kennen Schlesien und die Geschehnisse vor und nach 1945 meistens nur noch vom Erzählen oder wurden sogar erst nach dem Ableben der noch in Schlesien geborenen Vorfahren damit konfrontiert. Auch die übrigen Besucher hatten in den 1990er und frühen Nullerjahren andere Geschichtskenntnisse und -erfahrungen als heute. Zum Verständnis der Existenz und der Arbeit von HAUS SCHLESIEN, seiner Sammlung und der Ausstellung bedarf es deshalb zusätzlicher Hintergrundinformationen über die Geschichte und Entwicklung der Region. Diese werden den Besuchern in der neugestalteten Ausstellung auf unterschiedliche Ebenen dargeboten.
Die künftige Dauerausstellung, durch die sich als roter Faden der Aspekt der Erinnerung hindurchzieht, wird aus sieben miteinander in Zusammenhang stehenden Themenmodulen bestehen. Dem Besucher möchte sie vermitteln, was Schlesien aufgrund seiner geographischen Grenzlage und seiner wechselvollen Geschichte in seinen vielfältigen Prägungen charakterisiert, welche Erinnerungen im Laufe der Zeit und von unterschiedlichen Personengruppen damit verknüpft wurden und bis heute werden.
HAUS SCHLESIEN, seinerzeit bewusst entstanden als ein Ort, an dem Erinnerungen ausgetauscht und bewahrt werden können, ist heute selbst Erinnerungsort. So gut die Integration von mehr als zwölf Millionen Vertriebenen nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland auch gelungen ist – so fühlten sich viele doch lange fremd in ihrem „neuen Zuhause“, haben lange auf eine Rückkehr in die alte Heimat gehofft und nur schwer wieder Fuß fassen können. Sie suchten nach Gleichgesinnten und einem Stück Heimat in der Fremde – diesem Bedürfnis ist zu großen Teilen die Existenz eines HAUS SCHLESIEN im Siebengebirge zu verdanken.
Der Umgang mit der Vertreibungserfahrung und der Heimatverlust stellen daher wichtige Schwerpunkte der neuen Dauerausstellung dar. Zum besseren Verständnis der Vertreibung und Ihrer Vorgeschichte werden diesem Kapitel zunächst zwei Module vorangestellt. Im ersten Modul wird die konfliktreiche, von Brüchen und Herrschaftswechseln gekennzeichnete Kultur und Geschichte Schlesiens seit dem Mittelalter erläutert, woran die Darstellung der spezifischen politischen wie geographischen Lage Schlesiens im 20. Jahrhundert anknüpft. Näher ausgeführt werden hier Vorgeschichte, Ablauf und Erinnerung an die Teilung Oberschlesiens sowie die Geschehnisse vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei werden die Ereignisse und ihre Verwurzelung im kollektiven Gedächtnis beider Nationen – Deutschland und Polen – über die Jahrzehnte hinweg berücksichtig. Eng mit den bereits erwähnten Erfahrungen von Flucht und Heimatverlust verbunden ist das Bedürfnis des Sammelns und Bewahrens, dem ebenfalls ein eigener Abschnitt in der Ausstellung gewidmet sein wird. Daran anschließend geht es um die eng mit Wirtschaft und Arbeitsleben verknüpften Entwicklungen der Region und deren Bedeutung für die eigene Identität, das regionale Zugehörigkeitsgefühl und nicht zuletzt für die wirtschaftliche Integration der Vertriebenen. Natürlich gebührt auch der schlesischen Metropole Breslau, die mit ihrer wechselvollen Vergangenheit den Kristallisationspunkt unterschiedlicher Kulturen, Identitäts- und Gedächtnisgemeinschaften bildet, und ihren zahlreichen Erinnerungsorten ein eigenes Modul. Der letzte Ausstellungsabschnitt stellt die Heilige Hedwig in all ihren Facetten dar – von der Landesherrin und Schutzpatronin der Schlesier bis zur Brückenfigur der deutsch-polnischen Versöhnung.
Im Mittelpunkt steht jeweils ein Leitobjekt, das besonders charakteristisch ist, daneben illustrieren weitere Exponate und Dokumente, die überwiegend aus der eigenen Sammlung stammen, die genannten Themen. Neben den historischen Zusammenhängen soll vor allem den persönlichen Geschichten und Erinnerungen Raum gegeben werden. Bei allen Modulen wird darauf geachtet, eine Multiperspektivität zu gewährleisten: Neben der Sicht der vertriebenen Deutschen, die in der Bundesrepublik wiederum andere Erfahrungen gemacht haben als ihre Landsleute in der DDR, werden ebenso die Erlebnisse der nach Schlesien gekommenen Polen in den Blick genommen und die deutsche Vergangenheit der Region wird gleichermaßen thematisiert wie die polnische Gegenwart. Dies soll zum einen verschiedene Besuchergruppen, mit unterschiedlichem Erfahrungshorizont den Einstieg in das Thema erleichtern, zum anderen auch dazu beitragen, neue Erkenntnisse zu gewinnen, den eigenen Blickwinkel zu erweitern oder vielleicht sogar neu auszurichten. Ergänzt wird die Ausstellung durch Medienstationen, die vertiefende Informationen, Ein- und Ausblicke ermöglichen sowie Mitmachstationen, die zum aktiven Handeln anregen und dadurch das erworbene Wissen auf spielerische Weise vertiefen. Die Umsetzung all dieser Ideen erfolgt gemeinsam mit dem Gestaltungsbüro Atelier Schubert aus Stuttgart, das mit der ansprechenden Idee, die einzelnen Module jeweils in einem Haus unterzubringen, überzeugt hat. Das Haus steht dabei als „assoziatives Sinnbild für Heimat, Geborgenheit und Sicherheit aber auch als Raum der Erinnerung und des Verlustes“.