Jede Stadt hat ihre Helden. Im Vorkriegs-Grünberg gehörte Georg Beuchelt, Gründer und Inhaber der Fabrik für Brückenbau und Eisenkonstruktionen Beuchelt & Co. Grünberg in Schlesien, der späteren Zaodrzańskie Zakłady Przemysłu Metalowego ZASTAL in Zielona Góra, zweifelsohne zur Gruppe dieser Bürger. Eine wichtige Rolle im Leben des Unternehmers spielte seine Schwester Liddy Beuchelt. Am Mittwoch 22. Januar 1936 erschien im „Grünberger Wochenblatt“ eine kurze Notiz anlässlich des 90. Geburtstages von Liddy Beuchelt und so feiern wir 2021 den 175. Jahrestag ihrer Geburt.
Was wissen wir eigentlich von dieser Frau? Sie war Schwester ihres bekannten, reichen Bruders, der nicht nur in Grünberg hochverehrt wurde. Ihr Name wird meistens mit dem Bau der Erlöserkirche in Verbindung gebracht. Für die Errichtung der Kirche bestimmte G. Beuchelt in seinem Testament 50.000 Goldmark; die Durchführung des Projektes übernahm Liddy – die Erbin des brüderlichen Vermögens.
Liddy Beuchelt war 6 Jahre älter als ihr Bruder und kam 1846 vermutlich so wie er in Zwickau zur Welt. Als Mädchen aus einer vermögenden deutschen Familie in der Zeit um die Jahrhundertwende bekam sie wohl eine angemessene Ausbildung. Fräulein Beuchelt hat – ebenso wie ihr Bruder – niemals eine Familie gegründet. 1876, im Alter von 30 Jahren, kam sie nach Grünberg, um den Haushalt ihres Bruders zu führen. „37 lange Jahre stand sie ihm zur Seite, um alle Hindernisse zu beseitigen, die ihn beim Aufbau seines großen Werkes stören könnten.“ Es mag heute etwas pathetisch klingen, aber so war damals die Wirklichkeit – die Frauen verwalteten den Haushalt, trafen Entscheidungen über Ausgaben, Verpflegung und Organisation der Hausarbeiten. In dieser Beziehung war ihre Stellung unbestritten, obwohl der Mann immer noch als Familienoberhaupt galt und über die wichtigsten Angelegenheiten und Ausgaben entschied. Liddy fand sicher auch Zeit für andere Beschäftigungen, die sie zwar nicht so sehr in Anspruch nahmen, aber für die damalige Gesellschaft und in Bezug auf ihren Vermögensstand bedeutend waren. Sie engagierte sich, unterstützte Pflegeheime und Waisenhäuser und gehörte wohl jenen Grünberger Vereinen und Gesellschaften an, die den Armen und Leidenden halfen. „Gerne besuchte sie städtische und kreiseigene Pflegeheime, unterstützte sie mit Rat, wenn es nötig war. Während des Ersten Weltkrieges widmete sie ihre ganze Kraft den Herausforderungen, vor die die vaterlandsliebenden Frauen gestellt wurden.“ In Grünberg nahm sie wohl an Empfängen, Treffen, besonderen Veranstaltungen und Konzerten teil, oft vermutlich in Vertretung ihres Bruders, der aufgrund der dynamischen Entwicklung des Unternehmens häufig auf Reisen war und keine Zeit hatte, um an solchen Ereignissen teilzunehmen.
Der Tod ihres Bruders am 17. August 1913 war ein einschneidendes Ereignis im Leben Liddys. Im Alter von 67 Jahren blieb sie alleine in der Welt – alleine, obwohl mit Sicherheit nicht einsam. Zu ihrem engsten Freundeskreis gehörte die Familie von Paul Henke, dem Nachfolger von G. Beuchelt, der nach dessen Tod die Fabrik verwaltete.
1915 begann Liddy die Erlöserkirche „einzurichten”. Den Bau selbst übernahm selbstverständlich eine Gruppe von Fachleuten, Liddy beaufsichtigte die Arbeiten und nahm die Berichte über die Fortschritte entgegen. Ein anderes, weniger bekanntes Vermächtnis Beuchelts war die Bestimmung eines bedeutenden Geldbetrags für den Bau eines Volksbades in Grünberg. In einem diesem Vorhaben gewidmeten Artikel berichtete das „Grünberger Wochenblatt“, dass die Durchführung nicht zustande gekommen ist. „Die Schuld lag keinesfalls bei Liddy Beuchelt. Einer der Gründe war die ungeheuerliche Nachlässigkeit der damaligen Stadtverwaltung. Liddy Beuchelt selbst bot den Behörden – um die Hindernisse zu überwinden und das Vorhaben zu beschleunigen – einen Bauplatz an. Doch der Magistrat und die städtische Behörde warteten so lange auf bessere Zeiten und eine bessere wirtschaftliche Konjunktur, dass das Startkapital der Stiftung durch die galoppierende Inflation zu einem wertlosen Stück Papier geworden war. Die Nachlässigkeit und Unschlüssigkeit führten dazu, dass die Grünberger sich nicht eines Volksbades mit Schwimmbecken und vielem Komfort erfreuen konnten.“ Es ist wohl anzunehmen, dass es, wenn die Investition – so wie der Kirchenbau – zustande gekommen wäre, zwei Leistungen Liddys gäbe , mit denen man ihren Namen bis heute in Verbindung bringen könnte.
1928 starb Paul Henke, der Nachfolger ihres Bruders. Im Alter von 82 blieb sie alleine zurück. Sie war jetzt eine ältere Frau, die infolge einer Krankheit ihre Aktivitäten beschränken musste. Wir wissen nicht, wann sie gestorben ist und wo sie beerdigt wurde. Das Grabdenkmal ihres Bruders auf dem Foto aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg sieht imposant aus und die Reststücke, die erhalten geblieben sind, erinnern an seine Größe. Ein ähnliches sollte auch Liddy haben, wenn wir nur wüssten, wo und wann ihr Leben zu Ende ging.
Dieser Blogbeitrag ist ein Gastbeitrag aus dem Museum des Lebuser Landes in Grünberg (Muzeum Ziemi Lubuskiej). Das Bildmaterial entstammt der Sammlung des Museums. Mehr zum Museum und seinen Ausstellungen unter: https://mzl.zgora.pl/
Autor: Dr. Izabela Korniluk