Weniger als neun Quadratzentimeter, aber genug Platz für ganz viel Geschichte – eine kleine und eher unscheinbare blaue Briefmarke der polnischen Post, im Wert von zwei Kronen, darauf, wenig auffällig, gestempelt: „S.O. 1920“. Aber welche Geschichte erzählt nun diese Marke? „S. O.“ steht für „Silésie orientale“, also „Ostschlesien“, aber warum eigentlich auf Französisch? Und was hat es mit der Jahreszahl 1920 auf sich?
Das Ende des Ersten Weltkrieges hatte in Mittel- und Osteuropas gravierende Veränderungen nach sich gezogen. Mit dem militärischen und politischen Scheitern der drei europäischen Großmächte – der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, dem russischen Zarenreich und dem deutschen Kaiserreich – und ihrem Zerfall, erschien eine Vielzahl kleinerer Staaten wieder oder erstmalig auf der politischen Landkarte Europas, was von diversen Grenzstreitigkeiten begleitet war. Hiervon war auch die Gegend um die an der Olsa gelegene Stadt Teschen betroffen. Sowohl das wiederentstandene Polen, als auch die neugegründete Tschechoslowakei erhoben Gebietsansprüche auf diesen multikulturellen Teil Schlesiens. Prag begründete seinen Anspruch mit der jahrhundertelangen Zugehörigkeit Schlesiens zur böhmischen Krone. Warschau damit, dass die letzte Volkszählung ergeben hatte, dass 54 % der Bewohner Polnisch als Muttersprache angegeben hatten. Neben diesen ethnischen Aspekten spielten vor allem wirtschaftliche Interessen eine große Rolle, war die Region doch aufgrund der Steinkohlevorkommen eine wichtiges Industriegebiet.
Im November 1918 einigten sich lokale Vertreter beider Seiten auf eine vorläufige Grenzziehung, die Entscheidung über den endgültigen Grenzverlauf sollten die jeweiligen Landesregierungen fällen. Doch entgegen dieser Abmachungen wurden die Wahlen zum polnischen Sejm im gesamten Teschener Schlesien abgehalten, was von Seiten der Tschechoslowakei als Verletzung der Absprachen betrachtet wurde. Daraufhin eskalierte im Januar 1919 der Streit und es kam zu einer mehrtägigen kriegerischen Auseinandersetzung – just zu dem Zeitpunkt, als die Alliierten in Paris über die Nachkriegsordnung berieten. So kam der Streitfall um das Teschener Schlesien auf die Tagesordnung der Konferenz. Das Ergebnis war ein Waffenstillstand und der Beschluss, im Jahr 1920 eine Volksabstimmung abzuhalten, die die Interalliierte Kontrollkommission unter dem Vorsitz Frankreichs beaufsichtigen sollte. Der Stempel „bewarb“ sozusagen die Volksabstimmung.
Die Vorbereitungen zur Volksabstimmung waren jedoch von starken sozialen Spannungen, gegenseitigem Misstrauen und Gewaltakten begleitet, sodass auf deren Durchführung schließlich verzichtet wurde. Stattdessen entschieden am 28. Juli 1920 in Spa die Vertreter der Botschafterkonferenz über den Grenzverlauf. Die Grenze bildete über weite Teile die Olsa und verlief damit mitten durch die Stadt Teschen. Der Ostteil der Region wurde polnisch, der westliche Teil durch den die Kaschau–Oderberger Bahn führte und in dem sich das Bergbau- und Hüttengebiet befand, wurde der Tschechoslowakei zugesprochen. Zufrieden mit dem Grenzziehung waren beide Seiten nicht.