„Ich sitze einsam im Keller, warte, was noch kommen wird …”, notierte Paul Pätzold am siebten Tag der Belagerung der Stadt Glogau. Obwohl die Front immer näher kam, entschied sich der ältere Mann, in der Festung zu bleiben, denn er wollte auf das Haus und auf das sich darin befindliche Hab und Gut aufpassen. Von Januar bis April 1945 machte er Aufzeichnungen, die uns – den nächsten Generationen – die sich in der Stadt am Ende des 2. Weltkrieges abspielenden Ereignisse veranschaulichen. Als Augenzeuge schuf er ein subjektives Dokument über den Alltag kurz vor der vollständigen Einschließung der Stadt durch die Truppen der 1. Ukrainischen Front und dem Abschneiden des Fluchtweges für die dort befindliche Bevölkerung. Diese beinahe täglich aufgezeichneten Notizen über die Kriegshandlungen in der Stadt schildern auch die Schicksale der Menschen, denen es gelang, die Belagerung zu überleben.
Der Autor dieses Tagebuchs war ein am 12. Juli 1879 geborener Glogauer Bürger, der in der Mühlstraβe 19 wohnte (heute: ul. Młyńska). Er hatte zwei Söhne: Georg (1901-1959) und Alfred (1903-1978). Der jüngere Sohn war Metzger von Beruf, er heiratete Martha, geb. Wiedner (1904-1949), sein 1937 geborener Sohn Alfred wurde von den nächsten Verwandten Pimmerle genannt.
Nach der Verhaftung des jüngeren Sohnes und der Evakuierung der Schwiegertochter und dem Enkel bleibt Paul Pätzold allein in der Stadt. Er gehört zu den 2.500 Zivilisten, die Glogau nicht verlassen haben. Am 12. Februar 1945 zwingt ihn intensives Artilleriefeuer von drei Seiten zum Umzug in den Keller, täglich kommt er jedoch in die Wohnung und bemüht sich, die immer wieder entstandenen Schäden zu reparieren. So weit wie möglich kümmert er sich auch um die Wohnungen der abwesenden Nachbarn, damit, wie er schreibt, „die Soldaten – meistens ist es Volkssturm – nicht alles rausholen”.
Auf der Suche nach Nahrung trifft er Einwohner, die so wie er versuchen, die Belagerung in den Kellern ihrer Häuser zu überstehen. Während der seltenen Ausgänge in die Stadt sieht er die Verwüstung, welche die Boden- und Luftangriffe verursacht haben. Er notiert:
„28.02. (…) Die ganze Stadt brennt. Durch den Luftdruck wurden parterre sämtliche Holzfensterläden zerrissen, liegen zum Teil in der Stube, zum Teil auf der Straße.”
„1.03. Es brennt an allen Ecken. Die alte Pionierkaserne ist nicht mehr. Die ganze Lange-, die Mälz – und die Straußsche Straße, der Markt, der Rathausturm, sind weg.”
An den meisten Tagen gibt es ununterbrochen Bombenangriffe auf die Stadt. Manchmal kommen aber auch Momente der Stille, die dann grauenhaft auf ihn wirken.
„02. – 05.03. Keine Schießerei. Wer weiß, was der Russe wieder vorhat.
Vor seinen Augen nimmt die Vernichtung der Stadt ihren Lauf, Gebäude verschwinden, werden zerstört, zerfallen in Schutt und Asche. Auch sein Haus liegt in Trümmern. Darum muss Pätzold Mitte März umziehen. An den darauffolgenden Tagen macht er das noch mehrmals. Die Nahrungsmittel werden knapp. Immer schwieriger ist es, sich zwischen den brennenden Trümmern fortzubewegen. „Nun warten wir auf den Einzug der Russen”, schreibt er. Die kommen am 1. April. Am nächsten Tag lassen sie alle aus den Kellern herauskommen. Er wird mehrmals verhört. Schließlich kommt er mit anderen Zivilisten in die Hindenburgkaserne (heute die Kaserne in der Straße ul. Wojska Polskiego). In den letzten Worten seines Tagebuchs schreibt er: „Ich bitte nur den lieben Herrgott, dass er Euch am Leben erhält, dass Alfred, Pimmerle und Du, liebe Martha gesund sind und hoffe auf den Tag des Wiedersehens.“
Paul Pätzolds Tagebuch wurde dem Museum in Glogau von seinem Enkel Alfred (Pimmerle) geschenkt und wird in der Ausstellung „Glogauer 1945” präsentiert. (virtuelle Besichtigung der Ausstellung: https://www.youtube.com/watch?v=2D20BzBdDkc). Seine Übersetzung ins Polnische von Małgorzata Konopnicka und Jarosław Helwig, mit dem Vorwort der Übersetzer, fand Platz im Tagungsband „Glogau 1945. Upadek twierdzy”, der im Museum erhältlich ist.
Dieser Blogbeitrag ist ein Gastbeitrag des Archäologisch-Historischen Museums Glogau (Muzeum Archeologiczno-Historyczne w Głogowie). Das Bildmaterial entstammt der Sammlung des Museums. Mehr zum Museum und seinen Ausstellungen unter: http://www.muzeum.glogow.pl/
Autor: Renata Matysiak, Übersetzung: Zofia Kaczyńska