Reisepass oder Personalausweis als Identitätsnachweis sind Beleg dafür, dass wir existieren. Die Geburtsurkunde weist nach, dass ein Mensch geboren wurde – die Sterbeurkunde bestätigt das Ende seines irdischen Lebens. Und es gibt eine Reihe weiterer Ausweise, Karten und Papiere, die uns bescheinigen, dass es uns gibt, was wir können, dürfen und müssen. Das „wahre Leben“, die kleinen Alltagserlebnisse wie auch die große Geschichte, geschehen zwar unabhängig von Urkunden und Ausweisen und die Dokumente sind einfach nur ein Stück Papier, aber eines, das die Menschen häufig überlebt. Und noch Jahre und Jahrzehnte später können sie damit Zeugnis historischer Entwicklungen und persönlicher Lebensschicksale ablegen.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat Schlesien eine konfliktreiche Zeit voller Umbrüche und Grenzverschiebungen durchlebt. Sind die Schlesier 1914 noch wie die meisten Deutschen euphorisch für den Kaiser in den Krieg gezogen, kippte auch hier im Hungerwinter 1917 die Stimmung. Das herbeigesehnte Kriegsende brachte nicht nur den Polen wieder einen eigenen Staat und den Deutschen eine neue Staatsform, sondern Letzteren auch einen als demütigend empfundenen Friedensvertrag. Auf die unruhigen Jahre mit Aufständen und Streiks, der Teilung Oberschlesiens und der Hyperinflation folgten die „Goldenen Zwanziger“, die jedoch durch die Weltwirtschaftskrise 1929 jäh beendet wurden.
Der rasche Aufstieg der NSDAP mündete 1933 in die Machtergreifung der Nationalsozialisten und die Etablierung einer menschenverachtenden Diktatur. Mit dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht in Polen am 1. September 1939 begann der Zweite Weltkrieg, ein beispielloser Vernichtungskrieg, der in sechs Jahren mehr als 60 Millionen Menschen das Leben kostete. Das Kriegsende markierte eine weitere Zäsur – Schlesien wurde unter polnische Verwaltung gestellt, der größte Teil der deutschen Bevölkerung vertrieben und an ihrer Stelle Polen in der Region angesiedelt.
Im Schatten dieser großen Geschichte wurden täglich Menschen geboren, sind erwachsen geworden und gestorben, haben gute und schlechte Zeiten durchlebt, haben geliebt, gelebt, gelitten und ihre persönlichen Erfahrungen gesammelt. Und ihre Ausweise, Urkunden und Dokumente sind Zeugnis davon, sind nicht einfach nur ein Stück Papier, sondern erzählen von ihrem Leben.
Von ihnen erfahren wir etwas über die Menschen – wann sie geboren wurden, wie sie hießen und wo sie lebten, welche Berufe sie ergriffen haben, wohin sie gereist sind, ob und wann sie eine Familie gegründet haben. Von ihnen erfahren wir aber auch etwas über die Geschichte der Region. Denn ob die Dokumente von der Interalliierten Kommission ausgestellt wurden oder den Stempel des Polizeipräsidenten in Breslau tragen, ob der Reichsadler bekrönt ist oder das Hakenkreuz in seinen Krallen hält, ob die Papiere in deutscher, polnischer, französischer, englischer oder russischer Sprache verfasst sind – all das weist den persönlichen Geschichten ihren Platz in der vielfältigen Geschichte Schlesiens zu.
Ab heute wird an dieser Stelle nicht mehr nur von der Zeit zwischen 1939 und 1945 berichtet, sondern anhand von Dokumenten, Fotos und Erinnerungsstücken von schlesischen Lebensschicksalen aus der gesamten ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts – also vom Leben in Schlesien zwischen Kaiserreich und Volksrepublik – erzählt.